HSG Blomberg – Lippe

HSG Blomberg – Lippe

Individuelles Jugendtraining und nie zufriedene Handballtrainer

Es ist Mittwoch der 19.08.2020 und ich komme im beschaulichen Blomberg an. Blomberg ist eine wunderschöne alte Stadt im Landkreis Ostwestfalen-Lippe und natürlich durch ihre erfolgreiche Frauenabteilung mit der HSG in ganz Deutschland bekannt. Wie Blazenko konnte ich Björn Piontek bei meiner A-Lizenz Ausbildung kennenlernen und mit ihm herrlich über die Ausbildung von Jugendspielern philosophieren. Da lag es natürlich nahe der HSG Blomberg-Lippe und somit Björn, als verantwortlicher Jugendkoordinator, A-Jugend und U23 Trainer, einen Besuch abzustatten, um einen Einblick in eine der besten Akademien und Vereine in Deutschland zu erhalten. 

Björn hatte mich zum Frühtraining mit den „Sport“-Schülern empfangen. Die Jugendspieler der HSG gehen dort nicht auf eine besondere Sportschule, sondern das Training wird in Absprache mit der Schule, um die Unterrichtsstunden gelegt. Dadurch wird den vielen Talenten die Möglichkeit gegeben sich zielgerichtet auf den Leistungssport vorzubereiten. Die Trainingsgruppe war sehr klein, da die Hälfte einen Termin bei der Sportmedizin zur regelmäßigen Untersuchung zu Beginn einer jeden Saison hatten. Björn trainierte dadurch sehr individuell an der Wurftechnik und schaltete seine Wurfübungen in Reihe. Das bedeutet für mich, das die Spieler 1 oder 2 Würfe hinter einander machen, dann aber die nächste Position wirft. In Berlin trainierten wir vermehrt mit 6-8 Würfen hintereinander von einem Spieler und dann in 3 Serien geschaltet. Hier bekamen die Spielerinnen also verschiedene Würfe in Reihe. So musste die Kreisspielerin z.B. den ersten Schuss aus einer Sperre und direkt anschließend aus einer Nachläufer Bewegung absolvieren.

Nach dem Training sind Björn und ich gemeinsam Essen gewesen und wir haben viel über die anstehende A-Lizenzprüfung, die HSG und die Handballwelt gesprochen. Ich hatte dann den ersten „Kulturschock“ auf meiner Reise, als ich beim ortsansässigen Döner Laden keinen Halloumi Döner bestellen konnte, da der Käse dort schlichtweg nicht bekannt war. Dieser „Trend“ ist in Ostwestfalen wohl noch nicht angekommen und ich habe dann ein paar Tipps und Inspirationen für die Speisekarte geteilt. 

Auf dem zurück zur Halle haben wir dann das Akademie der HSG besucht und ich konnte einen Einblick Gemeinschaftsräume der HSG Spielerinnen werfen. Das Internat ist eher eine Wohngemeinschaft, welche von einem externen Träger für die HSG bereitgestellt wird. Dort wohnen nun die vielen Talente, welche aus ganz Deutschland durch die Jugendakademie den Weg an die Spitze vollbringen wollen. Durch die Bereitstellung eines externen Trägers für die Wohnplätze der HSG besteht kein Konflikt zu anderen Sportarten, um freie Wohnräume, wie es z.B. häufig bei Internaten an Sportschulen der Fall ist. Diese Plätze müssen zu Jahresbeginn besetzt sein oder sie gehen an den Besitz anderer Sportarten über.

„Bei der HSG gibt es dadurch keine Spielerin, welche wir aus ihrem Heimatverein holen, nur um den Internatsplatz zu belegen.“ gibt mir Björn Einblicke in das Sichtungssystem und führt weiter aus, „dies wissen auch unsere Spielerinnen und können sich bewusst sein, dass wir sie aufgrund ihres Talents und Potentials in Blomberg begrüßen.“

In der Halle angekommen hatte ich die Möglichkeit in einen Austausch mit D-Jugend Trainerin Anna Hölscher zu gehen und mir anschließend ihr Training anzuschauen. Anna betreut ihre Spielerinnen mit dem Ziel, dass sie es einmal in die eigene C-Jugend, B-Jugend usw. bis zur Bundesliga schaffen, „vor allem aber Freude am Handball haben“. Durch den leistungsorientierten Ansatz ab der C-Jugend entstehen nun häufig Probleme in der Jugendförderung. Denn natürlich haben nicht alle hauseigenen Spielerinnen das Talent für die Bundesliga und so versucht sie ständig den Spagat aus Freude zum Spielen und Vorbereitung auf das Pensum der C-Jugend hinzukriegen. Denn bereits ab der C-Jugend gibt es bei der HSG neben den leistungssportlichen Strang auch weitere Möglichkeiten aktiv beim Handball zu bleiben. 

Beim Training konnte ich eine nette Idee aus ihrem Erwärmungsspiel, auch für ältere Trainingsgruppen aufschnappen. Das Spiel war eine Art Ablegeball Spiel mit unterschiedlichen Matten. Sobald der Ball auf der Matte abgelegt wurde, nahm der Spieler ein Leibchen von der Matte und hatte die Aufgabe, dieses auf die eigene Matte zurückzubringen. Nun konnte die gegnerische Mannschaft sich den abgelegten Ball schnappen und mit diesem versuchen den Spieler, welcher gerade das Leibchen zurück bringt abzuwerfen und damit den Punkt zu egalisieren. Dadurch hatte der Angriff natürlich verstanden, den Spieler über das Stellen eines Blockes beim Rückweg zu unterstützen und die Abwehr eine gute Möglichkeit, das Umschalten und den Langpass zu trainieren. Natürlich sollte man beim Spielen mit älteren Teams über die Wahl des Balles nachdenken, welcher als Wurfobjekt genutzt wird, aber trotzdem sind Umschalten und Blocken gerade mit dem 7. Feldspieler wichtige Spielelemente geworden.

Das anschließende Training von Björn hat mich dann gerade im methodischen Aufbau sehr begeistert. Der Schwerpunkt lag auf der Abwehr und über Mini-Spiele zu Beginn, die individuelle Grundstellung in der Abwehr hatte dann auch im Torhüter Einwerfen Einzug gefunden, wurde die Mannschaft direkt auf den Körperkontakt vorbereitet. Anschließend wurde ein 2:2 und 3:3 aufgebaut mit den Schwerpunkten die Spieler ohne Ball über offensives Raustreten weit nach hinten zu drücken und den Ballhalter nach dem Tippen in eine Stresssituation zu bringen. 

Nach dem Training konnte ich mit Christoph und Lasse, den C- und B-Jugend Trainern der HSG ein interessantes Gespräch über die hiesigen Strukturen und die “Zufriedenheit der Coaches” führen. Die HSG Trainergemeinschaft im Leistungsbereich ist ein kleiner und eingeschworener Haufen, meist werden die Trainer in jungen Jahren als Co-Trainer an die Philosophie des Vereins heran geführt und ausgebildet, um dann als Hauptverantwortliche die Spielerinnen zu entwickeln. Durch dieses Verfahren besteht eine enge Abstimmung und Akzeptanz untereinander. So kommt es dann auch mal vor das die B-Jugend gegen die A-Jugend im Trainingsspiel gewinnt und Lasse (B-Jugend Trainer) trotzdem noch nicht endgültig zufrieden mit der Leistung seiner Mannschaft war. Trainer sind im allgemein meist sehr negativ über die Leistungen der eigenen Mannschaft gestimmt, so kann auch im Angesicht eines Erfolges noch nicht vollends Zufriedenheit einziehen. Ich denke, dass kommt daher, dass wir Trainer im allgemeinen sehr ehrgeizig sind und gerade, wenn wir einmal die höchst mögliche Leistung unserer Spielerinnen gesehen haben, diese natürlich ständig abverlangen. Trotzdem finde ich es wichtig die abgerufene Leistung realistisch einzuschätzen und gerade nach “kleinen” Erfolgen diese auch einmal im Moment zu genießen. Ansonsten rennen wir immer nur nach dem zukünftigen Ergebnis hinterher und haben, sollten wir es dann auch einmal erreicht haben, vermutlich nicht mal die Muße durchzuatmen und Stolz auf den jetzigen Entwicklungsstand zu sein. Durchatmen musste ich nach meinem ersten Tag in Blomberg auch erstmal und bin zeitig in mein Kempar verschwunden.

Steffen Birkner auf dem Marktplatz und andere Weltreisende getroffen

Am nächsten Morgen hatte ich mir vorgenommen die Altstadt von Blomberg zu erkunden und war zu einem Telefonat mit Steffen Birkner, dem Frauentrainer der HSG, verabredet. Als ich nun also entspannt am frühen Morgen auf dem Marktplatz saß, klingelte mein Telefon und ich hatte Steffen am anderen Ende. Als ich erzählt hatte, dass ich mir gerade die schöne Altstadt von Blomberg anschaue, erwiderte er mir nur, dass er auch gerade in der Geschäftsstelle sei und diese ja auch am Marktplatz ist. Nun wurde ich natürlich stutzig und habe mich nach Links und Rechts umgesehen und schon hatte mich Steffen mit einem Lächeln vor der Eingangstür der Geschäftsstelle empfangen. Wir haben uns erstmal zusammen auf den Markplatz gesetzt und kennen gelernt. Steffen hat die HSG vor 2 Jahren übernommen und konnte letztes Jahr einen erfolgreichen 4.Platz erreichen. Ich habe ihm von meinem Handballweltreise Projekt erzählt und wir haben gemeinsam über die unterschiedlichsten Dinge gesprochen. Er hatte jedoch anschließend noch einen Termin mit einer ehemaligen Spielerin und hatte mir angeboten in der Geschäftsstelle ein wenig zu arbeiten. Dieses Angebot habe ich auch gerne angenommen und das nächste Video über ein Handballtraining hochgeladen.

Nach einem kurzen Plausch mit Stefanie Klaunig, welche gerade mit ihrer Partnerin und ehemaligen Spielerin der HSG Gina Klaunig, ihre Weltreise in Mittelamerika dank Corona abbrechen musste, hatte ich direkt Gänsehaut von ihren Geschichten bekommen. Stefanie und Gina haben auch einige Wochen Nicola in Südafrika bei ihrem Play Handball Projekt geholfen und mir von unbeschreiblichen Eindrücken erzählt. Während sie am anderen Ende der Welt auf einer Insel in Ozeanien zum Beachhandball eingeladen wurden, nur weil sie Hummel Hosen anhatten. Es sind diese kleinen Geschichten, welche in mir starkes Fernweh erzeugen und zeigen wir groß die Handballwelt vermutlich sein wird. Doch für mich ging es erstmal im “kleinen” Blomberg in die Halle, denn dort erwartete mich das DHB Stützpunkttraining im Landkreis Westfalen. 

Björn hatte die ganze Halle zur Verfügung und eine Tempogegenstoß Einheit vorbereitet. Anschließend wurde die Truppe vom DHB Athletiktrainer übernommen und im Langhanteltraining gefordert. Bei der Einheit von Björn gab es ein Überschlag Spiel, welches ich euch gerne kurz vorstellen musste. Es wurden 3 Teams gebildet und jedes Team hatte eine Stoppuhr bekommen. Spielten nun 2 Teams, lief die Uhr vom dritten Team. Sobald ein Team 2 Tore erzielt hatte, wechselte es mit dem Team an der Seite und konnte seine Uhr laufen lassen. Das Team, welches den ersten Wettkampf verloren hatte, blieb auf dem Feld und konnte seine Uhr natürlich nicht laufen lassen. Das Team, welches am Ende die längste Zeit draußen verbrachte hatte das Spiel gewonnen. Besser konnten Fehlwürfe im Gegenstoß und fehlender Rückzug in einem “Überschlagsspiel” in einen größeren Kontext gesetzt werden.

Im Anschluss übernahm die 1. Frauenmannschaft der HSG das Feld und Steffen absolvierte ein Training mit Abwehrschwerpunkt gegen Kreuzungen im Zentrum. Auch hier hatte mich der methodische Aufbau für das Trainingsziel extrem begeistert. Selbst die Passübung beinhaltete Kreuzbewegungen im Rückraum und mehrere Abwehraktionen zahlten auf das Trainingsziel ein. Steffen hat eine starke Persönlichkeit auf die Platte gebracht und die HSG Spielerinnen haben dazu passend Vollgas gegeben. Schön zu sehen, war auch der Austausch der erfahrenen Spielerinnen mit den jungen HSG Talenten. Kommunikation im Team, wie Trainer es sich wünschen. Steffen hatte seinen Fokus auf die Abwehr gelegt und diesen auch selten verlassen. Auch hier wurde mir wieder der Unterschied zwischen Jugend und Profi-Handball deutlich gemacht. Während Björn bei der A-Jugend, ein breites Feld an Korrekturen vorwies, um seine Spielerinnen ganzheitlich auszubilden, hatte Steffen zu 95% seinen Innenblock eingestellt und korrigiert. Doch genau diese Schnittstellen müssen im Alltagsgeschäft Bundesliga greifen und entscheiden häufig über die Punkte. Die Facette eines Trainers muss und sollte also auf sein Aufgabenfeld passen.

Am nächsten Morgen habe ich Steffen dann zum Interview geladen. Ich habe ihm Fragen zur  HSG und seinen persönlichen Zielen als Trainer gestellt. Danach hatte ich dann die Möglichkeit mit Steffen beim Frühstück in der Geschäftsstelle über sein Training zu reden. Er war auch sehr interessiert an meinem Feedback dazu und offen für alle Kommentare von mir. Wir sind beide nämlich der Meinung, dass

genau dieser Austausch und Feedback zu einer beobachteten Trainingseinheit häufig die letzten wichtigen Potentiale aufdecken und würde auch jedem Trainer empfehlen, sich Kollegen in ihr Training einzuladen.

Das eröffnet natürlich vollkommen neue Möglichkeiten für die eigene Entwicklung als Trainer. Zum Ende haben wir dann in einem offenen Gespräch über seine Erfahrungen in der Ausbildung mit Emily Bölk, der Konstellation, dass nun 2 ausländische Trainer die DHB Teams coachen und der A-Lizenz gesprochen. Denn der gesamte Lehrstab des Deutschen Handballbundes sollte mich am morgigen Samstag zu meiner abschließenden praktischen Prüfung erwarten. Dementsprechend räumte ich meine Sachen zusammen und verabschiedete mich von der kleinen HSG Blomberg Handballfamilie.