Nachdem ich eine lange Nachtfahrt von Rostock nach Hamburg hinter mir hatte, bin ich gegen 01:30 auf dem imposanten Sportgelände der Barclaycard Arena gelandet. Es war nun an der Zeit den Handball Sportverein Hamburg zu besuchen. Bei meiner A-Lizenz Ausbildung konnte ich Blaženko Lacković kennenlernen und ihm von meiner Handballweltreise erzählen. Er war sehr angetan von der Idee und hatte mich auch super bei meinem Crowdfunding mit seinem Netzwerk unterstützt. Nun hatte ich natürlich Lust den HSV mit seiner spannenden Geschichte kennen zu lernen, denn welcher deutsche Verein der alle 3 großen Titel
- Deutsche Meisterschaft 2011,
- Deutscher Pokal 2006 & 2010
- Champions League Sieger 2013
im 21 Jahrhundert gewonnen hat musste vor 2 Jahren in der 3.Liga starten?
Ich habe mich also gefreut einen Einblick in den Umbruch zu bekommen und mit den Trainern in einen Austausch darüber zu gehen. Denn neben Blazenko hält nun Torsten „Toto“ Jansen das Ruder in Hamburg fest in der Hand und weist eine ebenso imposante Spieler Karriere auf. Diese ging soweit das natürlich etliche Titel gewonnen wurden, aber noch mehr, dass sogar meine Oma ihn kannte. Fernsehmoderator: „Tor von Torsten Jansen!“. Meine Oma damals: „Das ist doch der Sohn von Mutter Jansen“. Gelächter im Wohnzimmer, denn mit dieser Aussage lag sie wohl gar nicht so falsch.
Doch dieses familiäre Verhältnis hatte ich zum Trainer des HSV noch nicht und muss deshalb gestehen, dass ich beim Kennenlernen sehr nervös war. Blazenko hatte ihm zwar Bescheid gegeben und ich habe mich auch kurz per Whatsapp mit Torsten ausgetauscht, doch trotzdem kannte ich ihn noch nicht und viel wichtiger er mich und das Projekt nicht.
So kam es dann, dass er nach der ersten Krafteinheit (2 Gruppen am Morgen), bei der er noch selber mitgemacht hat, anschließend in der knallenden Sonne saß und mich freundlich begrüßt hat. Wir haben uns dann anschließend zusammengesetzt und uns erstmal kennen gelernt. Ich habe am Anfang etwas Skepsis und Verschlossenheit gegenüber meinem Projekt gespürt und war dadurch etwas verunsichert. Doch getreu dem Motto
„Sei immer du selbst, es sei denn du kannst Batman sein.“
war ich nun einfach ich selbst und habe ihm von meiner Vision und meiner Vergangenheit erzählt. Worauf er mir eine super Umschreibung für mein großes Ziel gab.
„Achso, du bereitest mir nun das Buffet vor, bei dem ich etwas für meine Arbeit von Trainern aus der ganzen Welt auswählen kann?“ „Ja, das trifft es ganz gut!“ „Gefällt mir!“.
Und schon war nach 15 Minuten das Eis gebrochen und wir haben 2,5 Stunden geredet. Es war ein unfassbar vielseitiges Gespräch und ging in beiderlei Richtungen. So hat er mir Einblicke in den aktuellen Stand beim HSV gegeben, aber auch erzählt, wieso ihm ein realitätsnahes Training so wichtig ist. Ich werde euch dafür später noch ein interessantes Beispiel aus seinem Training geben. Ein besonders wichtiges Thema für Torsten war die Wahl des eigenen Führungsstiles, welche Möglichkeiten es gibt den Spielern Freiräume zu geben und wann es besser ist selbst in den Vordergrund zu treten. Er nimmt eine sehr kooperative Haltung zu seinen Spielern ein und ist stets daran interessiert auf der selben Ebene mit ihnen zu sprechen. Dadurch, dass viele junge Spieler nun beim HSV aktiv sind, sieht er sich sehr als Förderer und versucht einen Mix aus alter Spieler gibt Erfahrungen und junger Trainer gibt Hinweise weiter.
Ebenfalls hat er mir erzählt, wie er immer versucht genügend Abstand zum Handball zu finden und sich dort nicht durch Ergebnisse oder Entscheidungen verrückt machen zu lassen. Denn er habe mitbekommen, wie sich Trainer in ihrem Job verbrannt haben und dies natürlich auch Auswirkungen auf ihr Privatleben genommen hatte. Deshalb versucht er eine klare Trennlinie zu ziehen und schöpft natürlich auch viel Erfahrung aus seiner Spielerkarriere, z.B. durch den Umgang mit der Presse. Bemerkenswert fand ich auch, dass er mir viele Fragen zu meiner Arbeit gestellt hat und Interesse somit an seinem Gegenüber hatte. Er hatte nämlich zum Abschluss auch gesagt, ach ne, das erzähl ich euch dann zum Ende des Blogs…
Blazenko hatte mir vorher bereits gesagt, dass Torsten vermutlich kein Interesse daran hätte, das Training von mir Filmen zu lassen. Ich habe das gute Gefühl unseres Gesprächs dann trotzdem für die Frage genutzt ob er nicht auch etwas für das Buffet bereitstellen wolle und ob ich sein Training für alle analysieren kann? Daraufhin hat er dann mit „Ja klar mach ruhig und sag mir was du brauchst!“ geantwortet. Was mich natürlich sehr begeistert und für mein Projekt auch weiterhin bestärkt hat. Wir wollen schließlich alle vom jeweils anderen lernen und sind dann natürlich auch bereit selbst etwas beizusteuern.
Nach einem kurzen Mittag ging es dann in die Halle und ich konnte endlich Blazenko begrüßen. Wir sind dann zusammen in die Halle gelaufen und als ich dann von meinem langen Gespräch mit Torsten erzählt habe, wurde mir nur erwidert „2,5 Stunden? Das kommt nicht so häufig vor. Muss ein interessantes Gespräch gewesen sein!“. Ihr könnt euch nun vorstellen wie dankbar ich für diesen Austausch war. Doch nun ging es endlich in die Halle.
Das Handballtraining bei einem Weltmeister und wieso ein Wechsel der Variablen immer in Betracht gezogen werden soll.
Ich habe Torsten verkabelt und die Kamera zum Training angeschmissen. Nach dem klassischen Warm-Up stand eine Partie Fußball an. Ich möchte euch hier gerne einen Hinweis mitgeben, solltet ihr einmal beim Fussball einer Handballmannschaft zuschauen. Gebt dem Ball, sollte er auch noch so schnell auf euch zukommen keine andere Richtung mit. Versucht den Einfluss auf die Ballrichtung also möglichst gering zu halten. Mir war diese Regel natürlich von den Füchsen bewusst, aber als der Ball nun mit einem Affenzahn auf mich zuggerauscht kam musste ich einfach meine Kamera schützen. Entschuldige bitte noch mal Leif für den von mir verdorbenen Gegenstoß an dieser Stelle 😉
Das restliche Training lief dann, natürlich ohne weiteres Einwirken von mir, einwandfrei weiter. Torsten wollte das Tempospiel forcieren und hat dabei verschiedene Handballübungen vorbereitet. Zum Ende sollte es im 6:6 enden. Leider hatte sich von den 12 Feldspielern einer (wir wollen den Protagonisten und sein Alter anonym halten 😉 ) verletzt und das 6:6 war nicht mehr möglich. Torsten ist daraufhin auf ein Kleingruppentraining umgesprungen und hat die restlichen 20 Minuten an kleinen Überzahlsituationen Außen/Halb gearbeitet.
Darauf ist natürlich in mir die Frage gewachsen, warum er nicht im 5:5 gespielt und z.B. eine Außenbahn freigelassen hat? Daraufhin erwiderte er mir, dass es für ihn nicht realitätsnahe genug und der Mehrwert nicht gegeben wäre. Durch die hohe Belastung der Vorbereitung und der vielen Vorbereitungsspiele, welche in den nächsten Tagen noch kommen sollten, hat er sich für den Abbruch und das Trainieren in der Kleingruppe zum Abschluss entschieden. Diese Entscheidung hat mir wieder offenbart, wie wichtig es ist Ressourcen im Profibereich zu steuern. Natürlich wären die Kraftreserven noch vorhanden gewesen, aber der Nutzen hätte laut Torsten nicht im selben Verhältnis gestanden.
Deshalb ist mir erneut das Thema der Anpassungsfähigkeit des Trainers aus unserem Gespräch in den Kopf gekommen. Denn Torsten hatte danach offen kommuniziert, dass dies nun dazu führt das er den Plan nicht weiter verfolgen kann bzw. möchte und deshalb ändern wird. Er hat also nicht starr seinen Plan verfolgen wollen, obwohl dies ein leichtes gewesen wäre, sondern erneut abgewägt und neu entschieden. Damit hat er nicht sein Plan in den Vordergrund gestellt, sondern Flexibilität bewiesen und diesen verändert. Andere Trainer und eventuell ich auch, hätten eine abgeänderte Lösung für den Abschluss gefunden und damit vielleicht eine größere Betrachtung der Sachlage vernachlässigt. Diese Anpassungsfähigkeiten sind natürlich auch beim Coaching in einem Spiel entscheidend. Sobald es neue Informationen gibt sollte die Sachlage neu analysiert werden.
In der Mathematik, vor allem in der Glücksspieltheorie, spricht man von einem Wechsel der Variablen. Ein häufig angebrachtes Beispiel ist das Ziegen-Problem. Dort hat der Kandidat 3 Türen zur Auswahl. Hinter 2 Türen befinden sich lediglich Ziegen und hinter einer befindet sich der Hauptgewinn. Der Kandidat wird nun zu Beginn gefragt welche Tür er wählt (Beispiel Tür 1) und der Spielleiter öffnet eine Tür mit der Ziege (Tür 2). Nun fragt der Spielleiter den Kandidaten erneut ob er bei seiner Tür bleiben will (Tür 1) oder ob er zur freien Tür (Tür 3) wechseln möchte. Häufig bleiben die Kandidaten bei ihrer zuerst gewählten Tür, obwohl ein Wechsel durchaus Sinn macht. Denn in der ersten Runde wählen wir die Türen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 3 (33%), während in der 2. Runde bereits die Wahrscheinlichkeit auf 1 zu 2 (50%) gestiegen ist.
Einfacher ist es zu verstehen, wenn wir zu Beginn 100 Türen haben. Würdet ihr also nun Tür 1 wählen und ich würde euch als Spielleiter 98 Ziegen von Tür 2 bis Tür 99 zeigen, würdet ihr dann weiterhin bei Tür 1 bleiben oder würdet ihr zur Tür 100 wechseln? Ebenso ist es im Training oder im Spiel auch, mit jeder Aktion erhöht sich euer Informationsgehalt.
Wie geht ihr also mit diesen Informationen um?
Zum Abschluss dieses langen Tages habe ich mich in den Besprechungsraum der HSV Geschäftsstelle gesetzt und dort einen Blog Artikel für die Crowdfunding Page geschrieben. Im Angesichts der vielen Trophäen des HSV wurde mir allmählich bewusst, dass ich mich nun wirklich langsam auf Handballweltreise befinde.
Interviews mit den Handballtrainern und Illusionen beim HSV Handball
Am nächsten Morgen klopfte dann früher als gedacht Torsten an das Fenster von meinem Kempar. Ich habe ihm sein Schlüssel für die Geschäftsstelle zurück gegeben und wir sind zusammen in die Halle zum Frühtraining gegangen. Wie in Rostock hat auch der HSV einen neuen Athletiktrainer. Philipp Winterhoff unterstützt das Trainerteam für die kommende Saison und war vorher bei den Bundesliga Frauen aus Buxtehude zuständig. Mit ihm ging die Mannschaft auf den Basketballplatz draußen vor der Halle und absolvierte eine Stabilitäts und Kraft Einheit. Anschließend übernahm Torsten das Handballtraining in der Halle und forcierte das Kleingruppenspiel nach Einläufern und in der Überzahl.
Zum Abschluss konnte ich dann noch ein Interview mit Torsten führen und ihn somit Fragen zum
- HSV Handball,
- dem derzeitigen Umbruch &
- seine Sicht auf den Handball stellen.
Für mich war dieser Austausch mit Torsten sehr gewinnbringend, da er mich nochmal darin bestätigt hat über verschiedene Sichtweisen des Trainerberufs nachzudenken. Denn ehemalige Spieler geben nochmal einen ganz anderen Blickwinkel auf den Trainerberuf und öffnen dadurch neue Denkweisen für jeden. Ich habe mich von Torsten anschließend verabschiedet und mich sehr über seine wertschätzenden Worte zu mir und meinem Projekt gefreut. Doch nun musste ich los und mich durch den Verkehr der Hamburger Innenstadt kämpfen. Denn beim Museum der Illusionen in Hamburg hat mich Blazenko „Lac“ Lackovic erwartet, um mir einen Rundgang durch sein neues Herzens Projekt zu geben.
Blazenko hat gemeinsam mit seiner Frau Nikolina ein Franchise aus Zagreb nach Hamburg übernommen und dort selbstständig geöffnet. Die treibende Kraft dahinter, sei aber immer
„meine Frau Nikolina, welche ich neben den Handball so gut wie möglich unterstütze“.
Wir haben dann in einem Schnelldurchlauf das Museum betrachtet und ich konnte Blazenko einige Fragen dazu stellen. Vor allem hatte mich interessiert, wie Illusionen auch im Handball auftreten können. Blazenko erwiderte direkt, dass es
„durch die Verletzten Regel keine Illusionen mehr gibt“.
Mich hatte jedoch mehr das Verschleiern von Spielzügen oder Angriffstaktiken interessiert. Wenn ich als Trainer im Angriff z.B. eine bestimmte 1:1 Aktion kreieren möchte, dann kann ich dies vermutlich einmal direkt bereitstellen (Angreifer gegen Verteidiger). Jedoch wird dies sicherlich erkannt und die Abwehr wird sich darauf einstellen (Position- oder System-Wechsel). Wenn ich diese bestimmte 1:1 Situation also verschleiern möchte, dann lohnt es sich eine Handlung davor zu schalten (Verschleierung).
Ein kleines und einfaches Beispiel:
Spieler A soll gegen Spieler B (Halbverteidiger) ins 1:1 gehen. Nun stellen wir Spieler A nicht als Halbangreifer auf, sondern verschleiern das 1:1 in dem wir ihn auf RM starten lassen und eine Leerkreuzung spielen. Diese führt nun nicht zum direkten „Erfolg“ und der Ball wird weiter gespielt auf Spieler A, welcher sich nun im 1:1 gegen Spieler B befindet. Ich werden diesen Punkt ebenfalls mit auf die Handballweltreise nehmen und weiter betrachten.
Nach einem kurzen Lunch, schlenderten wir noch für ein Interview durch den Kiez von Blazenko und er beantwortete mir nicht nur Fragen zum HSV, sondern auch zur Spielkultur von Kroatien und welche Ziele er nun als Trainer verfolgt. Anschließend verabschiedeten wir uns und ich habe mir einen schönen Stellplatz in der Bellevuestr. an der Alster gesichert und dort meine restlichen Stunden in Hamburg verbracht.